Leitfaden
3., aktualisierte Auflage, 1. Auflage 1995
Inhaltsverzeichnis
Food Coops
Was sie sind und warum wir mehr von ihnen brauchen. Ein Leitfaden zur Neugründung
Food Coops: Über den eigenen Tellerrand hinausgucken; nicht nur an die eigene Gesundheit, sondern auch daran denken, welche ErzeugerInnen und somit Anbauweise wir durch unsere Ernährungsgewohnheiten unterstützen.
Lebensmittelkooperativen (Food Coops) sind Zusammenschlüsse von Menschen, die den Einkauf vollwertiger und ökologischer Lebensmittel in die eigenen Hände genommen haben. Sie bestellen gemeinschaftlich und möglichst direkt bei den ErzeugerInnen.
Die ersten Food Coops in der BRD entstanden Mitte der 70er Jahre im Zusammenhang der Ökologie- und Bürgerinitiativen-Bewegung. In Berlin ist ihre Zahl in den letzten Jahren (nicht nur im Osten) stark angestiegen. Inzwischen gibt es hier mehr als 50 Coops.
Warum Food Coops?
Ein Grundprinzip der FCs ist es, Produkte aus ökologischem Landbau zu beziehen, die frisch und vollwertig sind. Bei einer Coop mitmachen ermöglicht, sich gesund zu ernähren.
FC-Mitglieder entziehen mit ihrer Ernährungsweise der konventionellen Agrarindustrie, die zur Zerstörung unserer Lebensgrundlage beiträgt, die Unterstützung.
Food Coops beziehen alternativ gehandelten Kaffee und Tee aus biologischem Anbau von ProduktionsgenossInnenschaften in "Dritte" Welt-Ländern zu Preisen weit über dem Weltmarktniveau.
Durch den Direktbezug der Waren entfällt der Preisaufschlag des Einzelhandels. Dadurch und durch die gemeinschaftliche Übernahme der Arbeiten (es gibt keine Angestellten) ergeben sich billigere Preise für Naturkost, ohne daß die ErzeugerInnenpreise gedrückt werden (im Gegenteil erhalten die Höfe so oft mehr als vom Großhandel). Die Preise werden auf diese Weise auch von weniger reichen Leuten akzeptiert.
Der direkte Kontakt zur ErzeugerIn, der auch persönliches Kennenlernen und Besuche auf den Höfen einschließt, leistet einen Beitrag zur Aufhebung der Entfremdung von unseren Nahrungsmitteln. Sie erlangen so eine angemessenere Bedeutung. Der Direktbezug verbessert Information und Kontrolle über die Herkunft der Lebensmittel. So wird auch Verständnis für die verzwickte Situation der BäuerInnen geschaffen.
Die FC schafft Kontakte zwischen Menschen aus der Nachbarschaft, die oft auch über die FC hinausgehen.
Bei einer FC mitmachen vergrößert den selbstbestimmten Lebensbereich: In der Gemeinschaft organisieren CooplerInnen ihre Lebensmittelversorgung basisdemokratisch. Food Coops sind ein Schritt vom fremdbestimmten Konsumieren zur bewußten Auseinandersetzung mit unseren Lebensgrundlagen.
Wie funktioniert eine Coop?
Lebensmittelkooperativen sind so verschieden wie die Menschen, die sie bilden: Die FC gibt es nicht. Dennoch sind sich die allermeisten über wesentliche Prinzipien einig.
Die Coop besteht aus einer festen Gruppe von Mitgliedern. Ziel ist, kostendeckend und gewinnfrei zu wirtschaften. Sie setzt Engagement und Mitarbeit voraus und erfordert mehr Zeit, als für den Einkauf im Laden nötig ist.
Lagerraum
Wichtige Voraussetzung zur Gründung einer FC ist ein möglichst kühler und trockener Lagerraum. Er sollte ebenerdig sein, so daß ohne Probleme geliefert werden kann. Günstig sind Hinterhof-, Parterre- und Souterrainwohnungen. Erfolgversprechend ist es, bei Kirchengemeinden, (Umwelt-)Verbänden, Stadtteilinitiativen, Parteien oder auch Unis (z. B. beim AStA) nachzufragen. Manchen reicht schon eine ungenutzte Garage. Zweckmäßiges Inventar einer Coop sind u.a. ein Kühlschrank, eine Waage, Regale, Paletten, Käsebrett und -messer.
Mitgliederzahl
Die Mitgliederzahl hängt u.a. von der Größe des Raumes ab. Je mehr (in gewissen Grenzen) Menschen in einer FC mitmachen, desto weniger Arbeit fällt pro Person an und um so mehr ökologische Produkte werden gekauft. Andererseits wird die Coop so immer unpersönlicher. Die übliche Größe von FCs liegt zwischen 15 - 60 Mitgliedern.
Entscheidungen
Coops sind hierarchiefrei gedacht; die Mitglieder treffen Entscheidungen gemeinsam. Die meisten FCs haben ein Plenum (monatlich bis dreimonatlich, auf dem die Arbeitskoordination, Organisationsprobleme, Verbesserungsvorschläge und gemeinsame Aktivitäten besprochen werden. Alle Arbeiten - Bestellungen, "Ladendienst", Finanzen, Organisation - werden untereinander aufgeteilt. Darüber hinaus gibt es in manchen FCs Leute, die Produktinformationen einholen und solche, die die Food Coop-Idee in der Öffentlichkeit bekanntmachen.
Arbeitsverteilung
Manche FCs Verteilen die Arbeit auf alle Mitglieder. Hier stellt sich die Frage, wie lange mensch für eine Arbeit zuständig sein soll. Nachteil von seltenem Wechsel ist die mögliche Arbeitsüberlastung für Einzelne, Vorteil ist die kompetente Erfüllung der übernommenen Aufgabe. Häufiges Wechseln schafft wahrscheinlich eine größere Übersicht und Verantwortlichkeit bei mehr Mitgliedern in bezug auf die gemeinsame Sache, andererseits vielleicht mehr Chaos. Häufiger Wechsel erfordert auch mehr Einarbeiten. Ein Mittelweg sind Kleingruppen, die jeweils für etwas längere Zeit mit einem Bereich betraut sind und sich intern abwechseln. Sehr Engagierte sollten aufpassen, dass sie sich nicht "verbrennen" und dann z.B. alles hinwerfen.
Bestellungen
Eine Übersicht über mögliche Bezugsquellen findet Ihr weiter unten.
Entweder wird diese Aufgabe entsprechend den LieferantInnen oder nach Produktgruppen aufgeteilt (wenn es mehrere Quellen für eine Gruppe, z.B. Obst und Gemüse, gibt). Die BestellerIn kann entsprechend der Erfahrung, was in den Wochen zuvor gekauft wurde, bestellen, oder (aufwendiger, aber sicherer) sie faßt die Einzelbestellungen der Mitglieder zusammen.
Zu entscheiden ist, welche Produktgruppen geführt werden sollen und ob mensch ein Vollsortiment haben will oder sich auf lagerfähige Produkte (Getreide, Brotaufstriche, Säfte u.ä.) beschränken möchte. Sinnvoll ist, den regelmäßigen LieferantInnen einen FC-Schlüssel zu geben, so daß nicht jedes Mal eineR die Bestellung entgegennehmen muß. Es ist üblich, daß die Produkte in die FC gestellt und später bargeldlos bezahlt werden. In einzelnen Fällen wird selbst abgeholt.
Kriterien für die Auswahl der Waren
Alle Lebensmittel sollten aus ökologischem Landbau stammen. Ausnahmen machen manche Coops nur dann, wenn es in einer Produktgruppe nur konventionelle Angebote auf dem Markt gibt.
Direktbezug wird dem Großhandel vorgezogen.
Waren aus der Region werden bevorzugt. Nur so sind persönliche Kontakte zur ErzeugerIn und ein energiesparender Transportweg möglich.
Food Coops bestellen hauptsächlich saisongemäßes Obst und Gemüse. Sie beziehen keine Produkte aus beheizten Treibhäusern.
Sie achten darauf, Verpackungsmüll zu vermeiden. Konkret heißt das, Pfandflaschen und -gläser zu bestellen. Vermieden werden kleine Verpackungseinheiten (500g oder 1kg) zugunsten von großen Säcken, Eimern etc., aus denen jedeR seine Lebensmittel in mitgebrachte Taschen, Gläser u.ä. selbst abfüllt.
Ladendienst
Die meisten FCs haben ein bis zwei Einkaufstermine in der Woche, üblicherweise jeweils ein bis zwei Stunden am frühen Abend. Bei manchen FCs haben alle Mitglieder einen Schlüssel und können jederzeit einkaufen. Ein oder zwei Leute ( = der Ladendienst) finden sich zu Beginn der Öffnungszeit in der FC ein. Wenn eine neue Lieferung angekommen ist, müssen sie vorzeitig da sein, um die Lebensmittel in die Regale zu stellen und auszupreisen. Wichtig ist, die auf dem Lieferzettel verzeichneten Waren mit den tatsächlich gelieferten zu vergleichen.
Bei manchen Coops gibt es keine Lagerhaltung. Hier wird die gesamte Lieferung gleich vollständig unter den Mitgliedern verteilt, was genaue Einzelbestellungen der Mitglieder erfordert.
Finanzen
Es hat sich als praktisch erwiesen, die Finanzen bargeldlos abzuwickeln. Dafür muß ein FC-Konto eingerichtet werden (am besten auf den Namen einer StudentIn, damit keine Gebühren entstehen).
Bei Lagerbeständen ist es nötig, daß jedes Mitglied eine "Grundeinlage" (ca. 25 - 75 €) bezahlt. Beim Austritt aus der FC erhält mensch seine Einlage in bar oder Waren ausgezahlt. Außerdem gibt es einen Monatsbeitrag, der Miete und gemeinsame Anschaffungen abdeckt und meistens zwischen 2 und 5 € liegt.
Durch Gewichtsschwund und Fäulnis der Produkte entsteht immer ein gewisser Verlust, der entweder durch einen prozentualen Aufschlag auf die Preise oder durch einen entsprechend höheren Monatsbeitrag abgedeckt werden muß. Letzteres begünstigt die, die viel einkaufen und wirkt umsatzerhöhend.
Praktisch kann die Bezahlung z. B. folgendermaßen ablaufen: Es gibt ein Kontobuch, in das das Guthaben ( = die Einzahlungen aufs Konto) jedes Mitglieds auf einer eigenen Seite eingetragen wird. Davon werden getätigte Einkäufe und Monatsbeitrag abgezogen. Geht das Guthaben eines Mitglieds gegen Null, ist es Zeit für eine neue Überweisung. Soll die Steuer auf den Warenschwund zurückgefordert werden, müssen die Waren ensprechend ihrem Steuersatz gekennzeichnet und die Einkäufe der Mitglieder entsprechend erfaßt werden.
Einkäufe
Jeder wiegt seine Produkte selbst ab und addiert die Preise auf einem Zettel. Die Gesamtsumme zieht er von seinem Guthaben im Kontobuch ab. Der Zettel geht mit Namen und Datum, zur Kontrolle durch die Kassenleute, in einen Belegkasten. Da in großen Verpackungseinheiten bestellt wurde, muß jeder seine eigenen Behältnisse mitbringen.
Rechtliches
Da Food Coops geschlossene Gruppen sind (d.h. nicht an Außenstehende verkaufen), haben sie nichts mit dem Gesundheitsamt zu tun. Da sie keinen Gewinn erwirtschaften, ebensowenig mit der Gewerbeaufsicht. Es empfiehlt sich bei möglichem Interesse von Ämtern dies auch klar zu zeigen: Eintritterklärung mit Anerkennung der Satzung / Geschäftordnung, Einzahlung der Einlage / des Mitgliedsbeitrages. Ggf. mit Schild an Raum anzeigen: "Nur für Mitglieder". Hygienisch zu arbeiten liegt aber in Eigeninteresse.
Wer die Haftung verteilen möchte, sollte eine schriftliche Satzung die auch dieses regelt, beschließen. Wer keine ausdrückliche Rechtsform regelt, ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, GbR. Manche Coops sind als e.V. organisiert. Das ermöglicht die Steuer aus den Kosten des Warenschwunds erstattet zu bekommen.
Überschaubare Gruppen mit engem sozialem Kontakt haben in der Regel nicht mit Haftungsfällen zu kämpfen. Klare schriftliche von den Mitgliedern anerkannte Regeln können aber die Verantwortlichkeit fördern.
Für große Coops empfiehlt sich das Genossenschaftsrecht. Das ist eigentlich die ideale Rechtsform für Coops. Diese kann wegen des wiederholten Prüfungsaufwands und der Prüfgebühren aber nur von großen Coops z.B. 1000 Mitglieder getragen werden. Information gibt der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften
Verhältnis zu Bioläden
Food Coops und Naturkostläden stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Sie haben unterschiedliche Zielgruppen: Wer mehr Zeit hat als Geld, kann sich für die Coop entscheiden. Wem es eher an Zeit, als an Geld mangelt, für die ist der Bioladen ideal. Food Coops sind für Esser oft der Einstieg in Naturkost. FCs und Läden kommt es im Gegensatz zu großen Supermarktketten darauf an, über alternative Vermarktungswege eine ökologische und soziale Landwirtschaft zu fördern.